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Beitrag vom 05.04.2017
Maria Heiner - Lea Grundig. Kunst für die Menschen. Mit einem Vorwort der Schauspielerin Esther Zimmering, erschienen in der Reihe Jüdische Miniaturen
Romina Wiegemann
Viele Kenner_Innen des Werkes der 1906 als Leah Langer in Dresden geborenen deutsch-jüdischen antifaschistischen Zeichnerin, Grafikerin und Illustratorin Lea Grundig stellen sie in eine Reihe mit Künstler_Innen wie Käthe Kollwitz und Franz Masereel.
Diese Einschätzung teilt auch die Autorin der Kurzbiographie, die Ärztin Maria Heiner, eine enge Wegbegleiterin in ihren letzten Jahren. Lea Grundig war Kommunistin, ihr Werk politisch, ihr Leben vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus, von Flucht, Exil und Remigration geprägt.
Doch wer annimmt, dass Lea Grundigs künstlerisches Erbe, ihr antifaschistisches Engagement und die – erfolglos - unternommenen Anstrengungen, die Erinnerung an die Shoah zum Gegenstand der politischen Kunst der DDR zu machen, über einen kleinen Kreis von Anhänger_Innen hinaus geschätzt werden, irrt.
In der in den neunziger Jahren geführten Debatte über die Vergabe des Hans-und Lea-Grundig-Preises - Lea Grundig hatte diesen fünf Jahre vor ihrem Tod der Universität Greifswald gestiftet - wurde ihr eine Fülle von Prädikaten zugeschrieben. "Stalinistin", "Chef-Propagandistin der DDR", "unpolitisch", und "naiv" sind nur einige Beispiele. Der Vorwurf einer "unpolitischen" Haltung erweist sich schon durch einen kurzen Blick in Lea Grundigs Biografie als haltlos.
Lea Grundig nahm früh Abstand von ihrem bürgerlichen Elternhaus, das vor allem durch ihren Vater konservativ und religiös geprägt war. Mit 14 Jahren trat sie dem zionistischen Bund "Blau-Weiß" bei, einer Abspaltung der "Wandervogel-Bewegung", die aufgrund des stark verbreiteten Antisemitismus und der zunehmend "deutsch-völkischen" Ausrichtung der Ursprungsbewegung vollzogen werden musste. Die Zeit im jüdischen Jugendbund beschrieb Lea Grundig später als die glücklichsten Jahre ihres Lebens. Sie ging die ersten Schritte auf dem Weg ihrer Selbstbefreiung, raus aus der Enge und Beschränktheit ihres Elternhauses. Sie schloss Freundschaften und begeisterte sich für die Idee eines kameradschaftlichen Aufbaus eines jüdischen Staates der Arbeiter_Innen in Palästina.
Anders als es der von ihrem Vater vorgezeichnete Weg vorsah, besuchte Lea nicht die Handelsschule, sondern nahm 1922 zunächst ein Studium an der Kunstgewerbeakademie Dresden auf und lernte das Zeichnen. Ab 1924 studierte sie an der Dresdner Akademie der Bildenden Künste und lernte dort ihren späteren Mann, den Maler Hans Grundig kennen. Sie bewegte sich fortan in einem Kreis links eingestellter junger Künstler_Innen und trat 1926 in die KPD ein. 1928 heiratete sie Hans und zog mit ihm in ein Arbeiter_Innenviertel. Die beiden hatten nur das Allernötigste, aber arbeiteten intensiv, im Stile der Neuen Sachlichkeit. In ihren Zeichnungen und Druckgrafiken stellt Lea Grundig das elende Leben der Arbeiter_Innenschaft und ihrer Kinder während der Zwanziger Jahre und besonders der Weltwirtschaftskrise dar. Das Anliegen der sich 1929 um Hans und Lea Grundig formierenden Dresdner Gruppe der "Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands" war die Verbindung künstlerischer Arbeit mit dem politischem Kampf. Eine Kunst für alle Menschen sollte geschaffen werden, dem Markt entzogen und erschwinglich.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatten Lea und Hans Grundig Berufsverbot. In der "Illegalität" arbeiteten die beiden vorrangig an antifaschistischen Zyklen. Bekannt wurden die Radierfolgen "Unterm Hakenkreuz", "Der Jude ist schuld" und "Krieg droht!". Ganz besonders eindringliche Zeichnungen aus diesen Reihen sind "Gestapo im Haus" (1935), "Mütter, Krieg droht! (1937), "Gefangen (1937) und "Der Schrei" (1937). Lea und Hans Grundig stellten die Not der Gequälten ins Zentrum ihres Schaffens und wurden selbst Opfer der Verfolgung. Es folgte eine Zeit mehrfacher Verhaftungen. Lea Grundig wurde aus ihrer letzten Haft mit der Auflage entlassen, direkt nach Palästina zu emigrieren, und bis dahin mit niemandem, insbesondere nicht mit Hans, Kontakt aufzunehmen. Die beiden trafen sich dennoch, wurden erkannt und denunziert. Hans wurde 1940 ins KZ Sachsenhausen deportiert, Lea Grundig endgültig aus Deutschland ausgewiesen. Auf Umwegen gelangte sie als Überlebende des Flüchtlingsschiffes "Patria" ins britische Mandatsgebiet Palästina, wo sie direkt ins Internierungslager Atlit überstellt wurde. Dort entstand die "Antifaschistische Fibel", 18 anklagende Zeichnungen, die den "Deutschen Soldaten" und das kriegstreibende Morden in den Fokus nehmen.
Nach einem Jahr durfte Lea das Internierungslager verlassen. Sie versuchte, in Palästina Fuß zu fassen, lernte Hebräisch und erhielt die Gelegenheit, Kinderbücher, darunter die Werke von Lea Goldberg oder Anda Amir-Pinkerfeld zu illustrieren.
Buchillustrationen hatte sich Lea Grundig bislang nicht zugetraut, wurde nun aber sehr erfolgreich damit. Zwischen 1942 und 1948 illustrierte sie 20 Kinderbücher mit etwa 350 Zeichnungen und trug somit maßgeblich dazu bei, einen kulturellen Fundus für die vielen Kinder und Jugendliche, die nach Palästina geflüchtet waren, entstehen zu lassen. Sie war lange Zeit die einzige Künstlerin, die sich in Palästina mit dem Massenmord an den europäischen Juden beschäftigte. Der Zyklus "Im Tal des Todes", der 1944 von der Dachorganisation der Kibbutzim veröffentlicht wurde, handelt von Verfolgung, Flucht und Vernichtung, aber auch Widerstand der Jüdinnen und Juden in Europa (z.B. "Flüchtende" "Im Todeswaggon", "Bluthunde").
Im Jahr 1946 erfuhr Lea Grundig, dass ihr Mann Hans, wenn auch schwer gezeichnet von einer Lungenkrankheit, die aus der Zeit im KZ stammte, überlebt hatte. Visumschwierigkeiten führten dazu, dass sie erst 1949 zu ihm nach Dresden zurückkehren konnte. Kurz nach ihrer Rückkehr wurde Lea Grundig im Jahr 1950 erste Professorin mit Lehrstuhl an der neuen Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Ihr baldiger Versuch, ihren Shoah-Zyklus "Niemals wieder!" in Buchform zu publizieren, scheiterte, mit der Begründung, dass "die Zeichnungen der derzeitigen sich vollziehenden gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR nicht mehr entsprachen." Darüber hinaus noch nahm die "Tägliche Rundschau", die Zeitung der Sowjetischen Besatzungsmacht, in einem Artikel zur "Kunst des Hässlichen" Bezug auf diesen Zyklus, was Lea Grundig als Diffamierungsversuch empfand.
In den 1950er Jahren portraitierte sie die Arbeiter_Innenschaft der DDR, bekannt als der Zyklus "Kohle und Stahl für den Frieden". Die Fähigkeit des Illustrierens, die sie in Palästina erworben hatte, setzte sie für die Nachkriegsausgabe der Märchen der Gebrüder Grimm um. So entstand mit über 400 Zeichnungen das größte zusammenhängende Werk von Lea Grundig. 1958 starb Hans Grundig an den Folgen der KZ-Haft, was einen weiteren tragischen Wendepunkt im Leben der Künstlerin markierte. 1964 wurde sie Präsidentin des Verbands Bildender Künstler der DDR und bekleidete dieses Amt bis 1970. Für ihre wichtigste kulturpolitische Leistung hielt sie die Intergrafik, eine bis 1990 alle drei Jahre stattfindende Ausstellung unter dem Leitspruch: "Gegen Faschismus und gegen den Krieg, für den Frieden." Diese Ausstellungen brachten Künstler_Innen aus der ganzen Welt, Ost und West, zusammen. In den 1960er Jahren widmete sie sich künstlerisch erneut der Erinnerung der Shoah (z. B. "Die Erde von Auschwitz" oder "Sie beschlossen die Endlösung der Judenfrage"), sicherlich auch als Reflexion des Globke-Prozesses, bei dem sie 1963 vor dem Obersten Gericht der DDR als Nebenklägerin auftrat. Lea Grundig starb am 10. Oktober 1977 auf einer Schiffsreise. "Sie wurde neben ihrem Mann Hans Grundig auf dem Dresdner Heidefriedhof im "Kleinen Ehrenhain der Widerstandskämpfer des Faschismus" beigesetzt.
AVIVA-Tipp: Für eine erste und durchaus auch intensive Annäherung an den Menschen und die Künstlerin Lea Grundig ist die Lektüre der kurzen Biographie sehr geeignet. Komprimiert und doch detailreich beschreibt Maria Heiner das durch Brüche gekennzeichnete Leben sowie das Gesamtwerk der Künstlerin, das sie sehr genau kennt. Der persönliche Blick auf ihre Freundin Lea Grundig bildet eine schöne Ergänzung, ohne dass darunter die Sachlichkeit des Buches leidet. Fragen um Lea Grundigs Rolle als politische Funktionärin, die einem Wechselspiel aus für die SED unbequemem Engagement und Anpassung gefolgt sein muss, bleiben ausgeklammert. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung damit wäre der erste Schritt, um die pauschale Diffamierung Lea Grundigs im öffentlichen Bewusstsein zu überwinden. Anders als es typisch war für jüdisch-deutsche Kommunist_Innen, schien Lea Grundig – so Maria Heiner - ihre jüdische Herkunft nicht versteckt zu haben. Die politische Verfolgung, der auch einige jüdische Freund_Innen der Grundigs in den Fünfziger Jahren zum Opfer fielen, muss daher Auswirkungen auf sie gehabt haben, seien dies innere Konflikte oder Abwehrmechanismen, die dazu führten, den in ihrer eigenen Partei verbreiteten Antisemitismus nicht erkennen zu müssen. Eine alle diese Themen aufgreifende Biographie, die sicherlich das Format der "Jüdischen Miniaturen" sprengen würde, müsste erst noch geschrieben werden. Das beschreibt aber genau die Leistung dieser "Miniatur": Sie weckt Interesse und regt zu weiterer Recherche an.
Zur Autorin: Maria Heiner, geboren 1937 in Döbeln/Sachsen, Studium der Humanmedizin in Leipzig und Dresden, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Promotion Dr. med., ärztliche Tätigkeit in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen von Dresden, Studium der Gesundheitswissenschaften mit Magisterabschluss, MPH, seit 1963 Bekanntschaft und Freundschaft mit Lea Grundig, später ärztliche Betreuung der Künstlerin. In den 1970er Jahren Beginn der Sammeltätigkeit von Kunst der Moderne, 1974 bis 1977 Mitarbeit am Werkverzeichnis der Künstlerin, ab 2008 erneute Arbeit am Werkverzeichnis. Seit 2010 Anlegen einer Sammlung erster hebräischer Kinder- und Jugendbücher, die Lea Grundig im Exil illustrierte. Kuratieren von Ausstellungen des graphischen Werkes von Hans und Lea Grundig aus eigener Sammlung. (Quelle: Verlagsinformationen)
Unter der Schirmherrschaft der Rosa-Luxemburg-Stiftung und in Erinnerung an Hans Grundig (1901–1958) und Lea Grundig (1906–1977) wird der gleichnamige Preis für künstlerische, kunsthistorische und kunstvermittelnde Leistungen vergeben. Im Mittelpunkt der diesjährigen Auslobung stehen Beiträge zur "diasporistischen" Kunst.
Informationen zum Hans-und Lea-Grundig Preis unter:
www.hans-und-lea-grundig.de
Maria Heiner
Lea Grundig. Kunst für die Menschen
Hentrich & Hentrich, in der Reihe "Jüdische Miniaturen", erschienen im August 2016
Mit einem Vorwort der Schauspielerin Esther Zimmering
128 Seiten, Broschur, 45 Abbildungen
ISBN: 978-3-95565-150-3
12,90 Euro
www.hentrichhentrich.de
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Der Bildband zur ersten deutschen Retrospektive der ungarisch-jüdischen Fotografin (1910-2003), die entscheidende Impulse aus dem Berlin der 30er Jahre in ihrem Schaffen verarbeitete. Fasziniert vom "Neuen Sehen" und der Diagonale erkundete sie hier ihre eigene Bildsprache, vor allem im regen Austausch mit der politischen Kunstszene. (2011)